„Kill the Winner“
Warum der Glaube an den persönlichen freien Willen zu unserem Verhängnis werden könnte
Die Idee eines persönlichen freien Willens hat die menschliche Kultur und Philosophie seit Jahrtausenden geprägt und ist heute mehr denn je Grundlage unserer wichtigsten Überzeugungen. Unser Freiheitsbegriff, die Idee der Demokratie, unsere Vorstellung von Rechtsprechung bis hin zu den Grundpfeilern der drei großen monotheistischen Religionen, nichts von alledem ist denkbar ohne die Annahme von der Existenz eines persönlichen freien Willens. Deshalb fällt es uns so schwer, die Einsicht zu akzeptieren, dass der persönliche freie Wille nur eine vom Gehirn erzeugte Illusion ist. Wenn das tatsächlich so wäre, fragen wir uns, wozu das Ganze überhaupt?
Die Antwort ist ganz einfach: Die Illusion des persönlichen freien Willens hat uns einen ungeheuren evolutionären Vorteil beschert. Sie hat uns geholfen, in unserer Umwelt zu überleben und uns gegenüber anderen Arten auf der Erde durchzusetzen und sie hat uns schließlich bis an die Spitze der Nahrungskette geführt.
Doch die Illusion des persönlichen freien Willens wäre nicht die erste evolutionäre Strategie, die sich im Lauf der Zeit in einen Nachteil verwandelt hätte, weil es ihr nicht gelungen ist, sich an veränderte Verhältnisse anzupassen.
Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins schildert in seinem 2006 erschienen Buch: „Der Gotteswahn“, wie sich aus der evolutionär erworbenen Fähigkeit der Motten, sich an den Sternen zu orientieren, ein tödliches Missverständnis entwickelt hat. Als der Mensch für sich das Feuer nutzbar machte, konnten die Motten die Lichter der Sterne und die von Flammen, Kerzen und ähnlichem nicht unterscheiden. Die Folgen waren katastrophal.
Ganz neu ist die Erkenntnis, dass Glühwürmchen vom Aussterben bedroht sind, weil sie, irritiert von der sogenannten Lichtverschmutzung, ihre Sexualpartner nicht mehr finden können.
Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung von Waffen und Verteidigungsmechanismen bei Raubtieren und ihrer Beute. Raubtiere entwickeln evolutionär gefährliche Waffen, um ihre Beute besser zu erlegen. Die Beute entwickelt im Laufe der Zeit jedoch Verteidigungsstrategien, um sich dagegen zu schützen. Wenn sich die Waffen und Verteidigungsmethoden gegenseitig überbieten, kann dies zu einem Wettrüsten führen, das letztendlich zur Folge hat, dass beide Seiten sich übermäßig anstrengen und Energie verschwenden, um diesen Prozess aufrechtzuerhalten, anstatt sich auf andere wichtige Überlebensmaßnahmen zu konzentrieren. Bei Raubkatzen ist beobachtet worden, dass der Kräfteaufwand bei der Jagd mittlerweile so hoch ist, dass schon wenige erfolglose Beutezüge existenzbedrohende Folgen haben können, und zwar nicht in erster Linie aufgrund von Hunger, sondern aufgrund von Erschöpfung.
Dass auch die Illusion des persönlichen freien Willens eine evolutionäre Errungenschaft ist, die sich zum Negativen entwickelt hat, ist offensichtlich. Schon immer bestand bei den Menschen die Bereitschaft, für die Durchsetzung des eigenen, vermeintlich freien Willens alles aufs Spiel zu setzen. Die Geschichte der kriegerischen Auseinandersetzungen ist der Beleg dafür. Doch erst seit acht Jahrzehnten besteht die technologische Fähigkeit, dabei die eigene Spezies tatsächlich komplett zu vernichten.
Haben frühere Evolutionsbiologen solche sich ins Negative entwickelnde evolutionäre Strategien noch für tragische Fehlentwicklungen und Sackgassen gehalten, erkennt man heute auch dahinter ein sinnvolles und zukunftsweisendes evolutionäres Prinzip: „Kill the Winner“.
„Kill the Winner“ gilt sowohl innerhalb einer einzelnen Spezies als auch in kleineren und größeren Biotopen und Biosphären.
Die jeweils Stärksten haben den höchsten und einseitigsten Ressourcenverbrauch, was zwangsläufig die biologische Vielfalt bedroht. Gleichzeitig erwachsen jedoch aus hohem und einseitigem Ressourcenverbrauch natürliche Risiken, die eben diese Stärksten in besonderem Maße gefährden: „Kill the Winner“.
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