Warum es aus neurobiologischer Sicht keinen freien Willen geben kann
Führende Neurobiologen vertreten schon seit langem die Auffassung, dass der freie Wille eine vom Gehirn suggerierte Illusion ist – allerdings eine Illusion mit weitreichenden Folgen. Denn dieser „freie Wille“ gehört zu den Erfolgsrezepten, die die Spezies Mensch an die Spitze der Nahrungskette gespült haben. Doch wir sollten uns nicht zu früh freuen, denn in der Evolution gilt auch: Kill the Winner. Anders ausgedrückt: Die Natur lässt es nicht zu, dass sich eine Spezies allzu lange an der Spitze hält.
Benjamin Libet war der erste Neurowissenschaftler, der 1983 ein Experiment durchführte, das die Vorstellung vom freien Willen in Frage stellte. Libet maß die Gehirnaktivität von Freiwilligen, die aufgefordert wurden, nach Belieben mit den Fingern zu tippen, und stellte fest, dass ein Signal, das so genannte Bereitschaftspotenzial (RP), im Gehirn auftrat, bevor sie sich bewusst für eine Bewegung entschieden. Dies deutet darauf hin, dass die Entscheidung zu handeln unbewusst getroffen wird und dass die bewusste Erfahrung einer Wahl eine vom Gehirn nachgeschobene Illusion ist.
Libet war von den Ergebnissen seiner Versuche vollkommen schockiert, gab er später zu Protokoll. Der amerikanische Neurowissenschaftler war, wie die meisten von uns, von der Existenz seines eigenen freien Willens vollkommen überzeugt, und wollte mit seinen Versuchen eigentlich der Diskussion um eine eventuelle Determinierung des Menschen einen Schusspunkt setzen. Seine eigenen Experimente belehrten ihn schließlich eines Besseren.
Die Gegner von Libets Theorie zur Nicht-Existenz eines persönlichen freien Willens verwiesen darauf, dass das Bereitschaftspotenzial (RP) nur Bruchteile von Sekunden vor der als frei empfundenen Entscheidung der Versuchspersonen auftragt. Doch nach neueren Untersuchungen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) beginnt die unbewusste Vorbereitung von Entscheidungen allerdings schon deutlich früher. 2013 legte der Neurologe John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience in Berlin Versuchspersonen in einen fMRT-Scanner und ließ ihnen die freie Wahl, zwei Zahlen entweder zu addieren oder zu subtrahieren. Aus den neuralen Aktivitätsmustern ließ sich schon ganze vier Sekunden, bevor den Probanden ihre Entscheidung bewusst wurde, vorhersagen, welchen Rechenweg sie einschlagen würden.
Auch zwei führende deutsche Wissenschaftler, der Neurophysiologe Wolf Singer und der Neurobiologe Gerhard Roth, sind überzeugt davon, dass der freie Wille eine vom Gehirn erzeugte Illusion sei. Beide betonen zudem, dass die einschlägigen Forschungsergebnisse Konsequenzen für unsere gesellschaftlichen Konzeptionen von Schuld und Strafe haben müssten.
"Keiner kann anders, als er ist. Der freie Wille ist eine Illusion. Die Annahme zum Beispiel, wir seien voll verantwortlich für das, was wir tun, weil wir es ja auch hätten anders machen können, ist aus neurobiologischer Perspektive nicht haltbar“, sagt Professor Wolf Singer, Hirnforschung, Max Planck Institut Frankfurt.
Und Professor Gerhard Roth ergänzt: "Sehr "willensstarke" Menschen sind überhaupt nicht frei, sondern von ihren Zielsetzungen getriebene, mit deren Erreichen sie sich belohnen wollen. Es ist die Aussicht auf diese besondere Belohnung, nicht der freie Wille, der Menschen zu Höchstleistungen antreibt."
Eine weitere deutsche Stimme zu diesem Thema kommt von Prof. Dr. Wolfgang Prinz, Psychologe am Hirnforschung Max-Planck-Institut, Leipzig: "Die Idee eines freien menschlichen Willens ist mit wissenschaftlichen Überlegungen prinzipiell nicht zu vereinbaren. Wissenschaft geht davon aus, dass alles, was geschieht, seine Ursache hat, und dass man diese Ursache finden kann. Für mich ist unverständlich, dass jemand, der empirische Wissenschaft betreibt, glauben kann, dass freies, also nicht determiniertes Handeln denkbar ist."
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